Julia Meyners ist User Experience Designerin mit 15 Jahren Erfahrung in der 360-Grad-Kommunikation von Museen. Mit dem VXD-Studio unterstützt sie Museen mithilfe von Design Thinking und KI-gestützten Technologien bei der Gestaltung eines publikumsorientierten Gesamterlebnisses. In der Juni-Ausgabe des MFG Newsletters Digitale Kultur gibt sie Einblicke in das Thema Visitor Journey Mapping, liefert praxisnahe Beispiele und stellt Templates zur Verfügung.
Museen navigieren heute durch ein komplexes Spannungsfeld: Während die Konkurrenz durch digitale und analoge Freizeitangebote stetig wächst, verändern sich gleichzeitig die Erwartungen und das Verhalten der Besuchenden. Um in diesem dynamischen Umfeld zu bestehen und Menschen nachhaltig zu begeistern, braucht es ein tiefgreifendes Verständnis der gesamten Besuchserfahrung – von der ersten Online-Recherche bis zum digitalen Austausch nach dem Museumsbesuch. Genau hier setzt das Visitor Journey Mapping an.
Was verbirgt sich hinter Visitor Journey Mapping?
Visitor Journey Mapping ist eine publikumsorientierte Methode, die speziell auf die Bedürfnisse von Kulturinstitutionen zugeschnitten ist. Als Weiterentwicklung des Customer Journey Mappings visualisiert sie die komplette Erfahrungsreise der Besuchenden – mit all ihren analogen und digitalen Berührungspunkten.
Die Methode ermöglicht einen systematischen Perspektivwechsel: Statt aus der Institutionsperspektive zu denken, schlüpfen Museumsteams bildlich in die Schuhe ihrer Besuchenden. Welche Bedürfnisse haben Menschen in welcher Phase ihres Museumsbesuchs? Wo stoßen sie auf Hindernisse? An welchen Stellen sind sie besonders zufrieden – und wo schlummern noch ungenutzte Potentiale?
Das Besondere: Eine Visitor Journey Map bildet nicht nur den physischen Museumsbesuch ab, sondern die gesamte Erfahrungskette. Diese beginnt oft Wochen vorher mit einer ersten Inspiration auf Social Media, führt über die Ticketbuchung auf der Website bis hin zum eigentlichen Besuch vor Ort und endet noch lange nicht beim Verlassen des Museums – sondern setzt sich fort im digitalen Austausch, in geteilten Erinnerungen und möglichen Weiterempfehlungen.
Der Aufbau einer Visitor Journey Map
Herzstück jeder Map ist eine gut definierte Persona – ein fiktiver, aber auf realen Daten basierender Charakter, der stellvertretend für eine bestimmte Besuchendengruppe steht. Diese Persona durchläuft verschiedene Phasen ihrer Journey, wobei für jede Phase systematisch erfasst wird:
Aktionen: Was tut die Person konkret? Vom Googeln der Öffnungszeiten über das Anstehen an der Kasse bis zum Teilen eines Selfies vor dem Lieblingsexponat.
Touchpoints: Wo kommt sie mit dem Museum in Kontakt? Das reicht von der Website über Instagram-Posts und Newsletter bis zu den Mitarbeitenden vor Ort, der Beschilderung und dem Audioguide.
Needs: Was erwartet oder benötigt sie? Beim Online-Ticketkauf etwa intuitive Navigation, sichere Bezahlmöglichkeiten und Flexibilität bei der Terminwahl.
Hindernisse: Welche Barrieren erschweren das Erlebnis? Lange Ladezeiten der Website, fehlende Mehrsprachigkeit oder unübersichtliche Wegführung im Gebäude.
Potentiale: Wo liegen Chancen für Verbesserungen? Von QR-Codes mit Hintergrundgeschichten bis zur personalisierten Museums-App.
Die Verschmelzung von analog und digital
Gerade die nahtlose Verknüpfung analoger und digitaler Elemente macht heutige Museumserfahrungen aus. Ein Beispiel: Lisa, 34, Mutter zweier Kinder, entdeckt auf Instagram einen Post über die neue Kinderausstellung. Sie klickt auf den Link, informiert sich auf der Website über familienfreundliche Angebote und bucht spontan Tickets für den nächsten Samstag. Die Bestätigungsmail enthält nicht nur die Tickets, sondern auch Tipps zur Anreise und einen Link zu einer digitalen Schnitzeljagd für Kinder.
Im Museum angekommen, nutzt die Familie das kostenlose WLAN, um die Schnitzeljagd-App herunterzuladen. Die App führt spielerisch durch die Ausstellung, während Lisa zwischendurch Fotos macht und in ihrer Instagram-Story teilt. Nach dem Besuch erhält sie eine E-Mail mit weiterführenden Basteltipps und wird auf kommende Familienworkshops hingewiesen. Wochen später, als eine Freundin nach Ausflugsideen fragt, erinnert sich Lisa an den gelungenen Tag und empfiehlt begeistert das Museum weiter.
Diese Journey zeigt: Digitale und analoge Touchpoints greifen wie Zahnräder ineinander. Die Website weckt Interesse, Social Media inspiriert, die App bereichert das Vor-Ort-Erlebnis, und digitale Nachbereitung sorgt für nachhaltige Bindung.
Praktischer Einsatz im Museumsalltag
Die Einsatzmöglichkeiten von Visitor Journey Mapping sind vielfältig. Bei der Überarbeitung des Leitsystems hilft die Methode, typische Orientierungsprobleme zu identifizieren. Für die Optimierung des Online-Ticketings deckt sie Hürden im Buchungsprozess auf. Bei der Entwicklung eines neuen Multimediaguides zeigt sie, an welchen Stellen Besuchende zusätzliche Informationen wünschen.
Besonders wertvoll: Die Methode berücksichtigt verschiedene Besuchendentypen. Die wissensdurstige Hobbyhistorikerin hat andere Bedürfnisse als die Touristin auf der Suche nach kulturellen Highlights oder der Lehrer, der mit seiner Schulklasse kommt. Für jede relevante Persona wird eine eigene Journey Map erstellt.
Der Einstieg gelingt am besten mit einer hypothesenbasierten Map, die auf Erfahrungswerten und vorhandenen Daten basiert. Diese erste Visualisierung macht Wissenslücken sichtbar und zeigt, wo gezielte Erhebungen nötig sind. Einfache Methoden wie Shadowing (Beobachtung von Besuchenden), kurze Exit-Interviews oder die systematische Auswertung von Online-Bewertungen liefern wertvolle Einblicke. Auch Mitarbeitende am Empfang und in der Ausstellung sind eine wertvolle Wissensquelle: Sie kennen die häufigsten Fragen und Probleme der Besuchenden.
Mehrwert für die Institution
Visitor Journey Maps schaffen nicht nur Verständnis für die Besuchendenperspektive – sie fördern auch die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Wenn Marketing, Besuchendenservice, Kurator*innen und digitale Strategie gemeinsam auf eine Map schauen, entsteht ein geteiltes Verständnis für die Gesamterfahrung. Schnittstellenprobleme werden sichtbar, Synergien erkennbar.
Die Methode hilft zudem, Ressourcen gezielt einzusetzen. Statt nach dem Gießkannenprinzip zu optimieren, können Museen dort ansetzen, wo der größte Hebel liegt. Manchmal sind es kleine Interventionen mit großer Wirkung: Ein QR-Code am Eingang, der zur Audioguide-App führt. Digitale Mitgliedskarten im Wallet. Oder einfach nur deutlichere Hinweise zu den Schließfächern und mehr Sitzgelegenheiten.
Zukunftsperspektiven
In einer Zeit, in der Besuchende selbstverständlich zwischen physischen und digitalen Räumen wechseln, wird das Verständnis der gesamten Journey immer wichtiger. Künstliche Intelligenz kann dabei unterstützen: Tools wie ChatGPT unterstützen beim Auswerten von Besuchendenfeedback oder beim Brainstorming neuer Touchpoint-Ideen.
Doch bei aller Digitalisierung gilt: Im Zentrum steht immer der Mensch mit seinen Bedürfnissen, Wünschen und Emotionen. Visitor Journey Mapping ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Journeys verändern sich, neue Technologien entstehen, Erwartungen wandeln sich. Museen, die ihre Besuchenden-Journeys regelmäßig unter die Lupe nehmen und optimieren, schaffen nachhaltige, begeisternde Erfahrungen – analog wie digital.
Der erste Schritt? Einfach anfangen. Eine Persona definieren, eine Journey skizzieren, im Team diskutieren. Denn nur wer die Reise seiner Besuchenden kennt, kann sie zu einem unvergesslichen Erlebnis machen.